Kölnische Rundschau - FREITAG, 20. SEPTEMBER 2002 NUMMER 219
"Ich konnte einfach nicht nein sagen"
China Keitetsi war Kindersoldatin und schrieb jetzt ein Buch über ihr Leben
von MARKUS GRABITZ
Unvorstellbares Leid haben die Augen von China Keitetsi gesehen
Schon als Neunjährige musste sie an der Front kämpfen. (Foto: Ullstein)
"Ich konnte einfach nicht nein sagen"
China Keitetsi war Kindersoldatin und schrieb jetzt ein Buch über ihr Leben
Kölnische Rundschau, 20.9.2002
Es sind die Augen, die zuerst auffallen. Sie sind klein, sie liegen tief eingegraben in ihrem Gesicht. Jetzt, da fremde Menschen die junge Frau anstarren, Fotografen blitzen, springen diese kleinen Augen hin und her, ohne Ruhe. Gerade berichtet Dietrich Garlichs von Unicef Deutschland von den "schwersten Menschenrechtsverletzungen", die ihr und den anderen Kindersoldaten in Afrika angetan werden, dass sie "missbraucht, misshandelt, ausgebeutet und vergewaltigt" wurde, da schaut sie plötzlich zu den Journalisten und lächelt sie an. Es ist ein afrikanisches Lächeln, strahlende Augen voller Wärme, die aber das Grauen in sich tragen, welches sie erleben mussten. Ihre Augen hatten es auch dem Ausbilder der ugandischen Rebellenarmee angetan, als er die Neunjährige das erste Mal sah. Erfand, dass sie Schlitzaugen habe, und gab ihr den Namen "China". Es gehört zum System der Kriegsführung, dass den Kindersoldaten mit dem Namen auch die Identität geraubt wird. Ihre Kameraden hießen "Suici-de" (Selbstmord), "Rambo" oder "Commander". China, so nennt sich die jetzt 26-Jährige noch heute. China Keitetsi, die junge Frau
aus Uganda, hat gestern in Berlin ihr Buch Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr" vorgestellt. Darin berichtet sie als erste ehemalige Kindersoldatin überhaupt von ihrem Leben im afrikanischen Bürgerkrieg. Die Maschinenpistole hatte man ihr gegeben mit den Worten, die Waffe sei "unsere Mutter". China schildert, wie ihre gefolterte Psyche einen Pakt einging mit den Allmachtsfantasien, die von der Waffe ausgehen. Mit der MP in der Hand habe sie plötzlich Respekt gehabt. Die Zivilbevölkerung habe ihr, dem Kind, gehorcht, wenn sie es nur wollte: "Ich war meine Waffe, und meine Waffe war ich." Manchmal scheint es, als überschlüge sich ihre Stimme, als verschlucke sie ganze Satzhälften. Doch das ist offenbar eine Täuschung, erklärt später der Hamburger Psychologe Hubertus Adam: "Das ist ein unterbewusster Abwehrmechanismus, man hält es nicht mehr aus, will einfach nicht mehr zuhören." Bis hierhin hat China Keitetsi geredet, als beschriebe sie den afrikanischen Bürgerkrieg wie einen Film, der immer und immer wieder vor ihren Augen abläuft. "Niemand sollte Mitleid mit mir haben, ich kann essen, wenn ich möchte und kann lieben, wenn ich möchte." Nun beginnt sie zu weinen. Das helfe ihr, sagt sie. Genauso wie das Schreiben des Buches für sie wie eine Therapie gewesen sei. Unter Tränen sagt sie: "Aber meine Kameraden sind immer noch da." Und es wird deutlich: Für sie, für die vielen anderen Kindersoldaten in Afrika, in Asien, für ihren Sohn und ihre Tochter, die irgendwo in Uganda leben und in der Gefahr sind, das gleiche Schicksal wie sie zu haben - dafür tut sie sich dieses schmerzhafte Erinnern an. |